Ayn Rand: „The Fountainhead“ (dt. „Der Ursprung“)
Als Ayn Rands Buch im Jahr 1943 erschien, wurde die Weltgeschichte von zwei Diktaturen bestimmt. Die eine überzog den europäischen Kontinent mit einem furchtbaren Krieg und tötete Millionen. Die andere sperrte ihre Bürger in „Besserungslager“. Ayn Rand (eigentlich: Alisa Rozenbaum), eine junge Emigrantin aus der noch jüngeren Sowjetunion, glaubte die Ursache für all das Übel gefunden zu haben.
Für Ayn Rand war der sogenannte Kollektivismus der Hauptfeind menschlicher Gesellschaften. Damit meinte sie hauptsächlich die Unterdrückung individueller, unternehmerischer Freiheit und Innovation zugunsten von Tradition und Homogenität unter Aufsicht des Staates. Den Kollektivismus sah sie vor allem im sowjetischen Sozialismus verwirklicht, hat sich Zeit ihres Lebens aber auch gegen Faschismus und Rassismus ausgesprochen, weniger aus humanistischen Gründen, sondern weil diese Ideologien ihrer eigenen Philosophie widersprachen.
Die Faszination, die Rands Buch bis heute auf Amerikaner ausübt, ist darauf zurückzuführen, dass es die wichtigsten amerikanischen Ideale reflektiert: Freiheitsrechte im Sinne von individueller Selbstverwirklichung und das Streben nach Glück. Die Abneigung gegen jede Art staatlicher Bevormundung ist den Amerikanern bekanntermaßen in die Wiege gelegt. Aber „Der Ursprung“ hat auch literarische Qualitäten. Rands Figuren agieren, ausgehend von einer abstrakten charakterlichen Grundhaltung, in sehr konkreten Situationen, die immer spannend sind. Wohltuend ist, dass Rand von jedweder Entwicklung der Charaktere Abstand nimmt. Dadurch hat man als Leser die Möglichkeit, sie gut kennenzulernen.
Außerdem schreibt Rand aus einer sehr persönlichen Perspektive der Figuren und schafft es so, sie wirklich sichtbar und lebendig zu machen. Bis auf angelesene architektonische Details hat sie der Umgebung ihrer Charaktere wenig Raum geben können, was bei der Faszination, die von ihrer klar definierten Unterschiedlichkeit und ihren manchmal unerwarteten, aber durchaus schlüssigen Verhaltensweisen ausgeht, wenig ins Gewicht fällt. Außerdem verteidigt Rand ihre Philosophie konsequent, wobei sie eine kompromisslose Umwertung humanistischer Werte vornimmt, indem sie deren allgemein akzeptiertes Verständnis um einhundertachtzig Grad dreht. Der Einzelne, objektiv und logisch denkende Mensch, wird bei ihr zur Quelle aller Innovation, allen Fortschritts und dem Guten überhaupt, völlig unabhängig davon, wer und wie viele andere Menschen seine Arbeit schätzen.
Der Protagonist des Buches, Howard Roark, ein Mann mit apfelsinenrotem Haar (!), gibt den kompromisslosen Individualisten, der sich für seine architektonischen Projekte von niemandem etwas sagen lässt, außer von den Lehrern, die er sich selber aussucht. Sein bauhausartiger Stil stößt vor allem Geldsäcke vor den Kopf, die ihre millionenteuren Häuser nach rein irrationalen Gesichtspunkten bauen wollen: Prunksucht, Neid, Tradition. Roark sieht vor allem die Funktionalität und in dieser die Schönheit. Schließlich würde sich ein Leopard keine goldenen Schühchen anziehen, wenn er auf die Jagd geht, egal wie viel die hermachen. Mitleid empfindet Roark für Menschen, die nicht ihren eigenen Träumen folgten und in falschen Berufen freud- und selbstwertlos geworden sind.
Der Antagonist, Ellsworth Toohey, einflussreicher Architekturkritiker, somit „Zerstörer“ der Architektur und individuellem Schaffen, ist ein selbsternannter Kollektivist. Toohey gibt offen zu, alle Roarks dieser Welt zerstören zu wollen, um ein homogenes Kollektiv zu erschaffen, in dem es keine Unterschiede und keine Neidgefühle mehr gibt, in dem niemand mehr in konkreten Personen denkt, sondern nur noch in Prinzipien. „Arbeitet nicht für mein Glück, Freunde, sondern für eures! Und lasst mich sehen und daran freuen, was ihr geschaffen habt.“ Für Roark entsprächen diese Sätze dem Ideal, Toohey würde sie kategorisch verneinen.
Im letzten Fünftel des Romans geben die Figuren nach und nach ihre Philosophie zum Besten, die natürlich Ayn Rands Philosophie entspricht. Man redet über weltzerstörerischen Altruismus, Selbstverleugnung und „Zweithänder“, also Menschen, die nie etwas Eigenes auf die Beine stellen und deshalb ein Leben aus zweiter Hand leben müssen. Propagiert das Buch Ungerechtigkeit? Ist das Buch ein Plädoyer für Egoismus und Eigensinnigkeit? Mit Sicherheit. Rands Konsequenz in ihrer Ablehnung insbesondere bei Europäern etablierter ethischer Muster ist dabei so überzeugend, dass man aufpassen muss, plötzlich nur noch sein eigenes Ding durchziehen zu wollen. Wen dieses Plädoyer abstößt, der kann so eigensinnig sein, den „Ursprung“ nicht zu lesen. Davon möchte ich aber dringend abraten, und zwar völlig uneigennützig.
Ayn Rand: „Der Ursprung“, ist auf Deutsch wahnsinnig teuer. Ich empfehle das Hörbuch oder die englische Version. Vom gleichnamige Film rate ich trotz Gary Cooper und Patricia Neal ab. In jedem Fall zu empfehlen ist Wolfram Eilenbergers: „Feuer der Freiheit“ (Clett Cotta), in dem er die vier wichtigsten Philosophinnen jener Zeit (Arendt, Rand, Weil und de Beauvoir) hinsichtlich ihres Lebens und Schaffens beleuchtet.