Am Dresdner Bischofsweg, zwischen der Schauburg und dem Öz Nemrut Döner-Dürüm tut sich was. Und das nicht zu knapp. In der Villa wirklich wird nicht nur gecoacht oder anderweitig gearbeitet, sondern auch Kultur betrieben. Mit Konzerten, Ausstellungen, beispielsweise der momentanen Bildergalerie WAHRNEHMEN, und literarischen Lesungen mischen die Villenbesitzer seit über einem Jahr die Dresdner Szene auf. Highlight des literarischen Monats Mai 2023 war der Besuch des Autors Catalin Dorian Florescu, der vor gebannten Zuhörern einen Parforceritt durch sein literarisches Schaffen ablieferte.
Hunger und Gewalt halten die Weltgeschichte am Laufen
Herr Florescu ist in Dresden kein Unbekannter. Im Jahr 2008 hatte er den Stuhl des hiesigen Stadtschreibers inne, außerdem ist er bei Dresdner Veranstaltungen regelmäßig zu Gast. Herr Florescu ist Schweizer, doch er wurde in Timișoara geboren. Die Verbindung zu seiner alten Heimat hat er nie aufgegeben und setzt sich in seinen Texten sowohl mit der rumänischen Geschichte als auch mit Geschichten zwischen Rumänien und der westlichen Welt auseinander. Als Beispiele seien genannt: „Jacob beschließt zu lieben“, „Zaira“, „Der Mann, der das Glück bringt“ und sein neuestes Werk: „Der Feuerturm“. Darauf kam er allerdings nur kurz zu sprechen. Nun, die Leute sollten sich ja auch selbst ein Bild machen. Kein Problem, denn in der Eventküche der Villa hatte die Buchhandlung LeseZeichen jede Menge Feuertürme parat.
Jeder liest sich selbst durch ein Buch hindurch
Bild ist das richtige Stichwort, denn seine Sprache ist sehr bildhaft, was Herr Florescu an einem längeren Auszug aus Zaira eindrucksvoll unter Beweis stellte. Sie ist außerdem voller fantasiereicher Ironie, die bei den guten Charakteren mit Wärme und Sympathie, bei den bösen mit ätzender Satire daherkommt. Ja, dem kommunistischen Diktator Nicolae Ceaușescu konnte man aus Protest die Farbe aus dem Gesicht drehen, zumindest auf dem Fernsehbildschirm.
Der Mensch ist im Dauerzustand des sich Entwurzelns
Was als Lesung aus dem Feuerturm angekündigt worden war, entpuppte sich schnell als Erfahrungsbericht des Schriftstellers. Herr Florescu weihte uns in die Geheimnisse seiner langen und aufwändigen Recherchearbeit ein, welche er für die Romane am Ende so gut wie gar nicht benutzte. Er sprach über die Grenzen des Einfühlens, über Empathie, Menschlichkeit, über das Schreiben in Kaffeehäusern, die Flüsse in New York, die eigentlich gar keine Flüsse sind, über Eisdielen, die zu Buchhandlungen umgebaut wurden, Niederkünfte in Bahnhofshallen, schlechte Masseure, die trotz ihrer Blindheit Bücher lesen und über „Welt“, die in jeder Geschichte stecken sollte.
In einem Haus voller Bücher kann ein Mensch nicht leben
Beginnend mit der Poesie des ersten Romansatzes und den unzähligen Möglichkeiten, die durch ihn pulverisiert werden, rückte Herr Florescu nach und nach mit seinen ganz persönlichen Weisheiten über das Schreiben heraus. Schreiben ist wie Tangotanzen, bei dem jeder Autor seinem eigenen Text in die Seele blickt. Umgekehrt gilt das natürlich auch. Herr Florescu nennt das Liebe, oder die Gnade des Verlierens. Sie ist das einzige Wissen, welches der Mensch Gott voraushat, aber auch der Teufel! Gott sei Dank! Ähnlich wie einst Joseph Beuys ist sich der Autor sicher: Jeder kann Schriftsteller sein, es brauche nur den richtigen Anstoß. Herrn Florescus Lesung in der Villa wirklich hatte definitiv das Zeug für einen solchen Anstoß.